Zurück vom Ende der Welt

Heuer waren Martin und ich etwa vier Wochen lang am Ende der Welt. Und schuld daran, daß ich dort hin wollte, waren unter anderem der Atlantik, Benoîte Groult (schrieb Salz auf unsrer Haut) und Bodil Malmsten (Autorin von The price of water in Finistère) – womit wir auch schon am Anfang meines Urlaubsberichtes wären:

Am 9. Juli stiegen wir samt Rädern, Zelt und Packtaschen in den ersten von drei Zügen, die uns über München und Paris nach Chateauroux (Frankreich, Region Centre) brachten. Während der Zugfahrt vergnügte ich mich damit, das interaktive Buch Lost in Austen: Create your own Jane Austen adventure von Emma Campbell Webster (mußte anfangs kurz überlegen, ob das ein nom de plume ist) zu lesen.

In Chateauroux angekommen, radelten wir erst einmal die 30 Kilometer zu den 33. Rencontres Internationales des Luthiers et Maîtres Sonneurs nach St. Chartier. Ich habe, so glaube ich, schon einmal kurz erwähnt, daß es sich dabei um ein riesiges, vier Tage dauerndes Folkfestival mit Konzerten und Sessions handelt. Der Name des Festivals ist von einem Roman von George Sand inspiriert, Les maîtres sonneurs, welcher genau in der Gegend und teilweise sogar in St. Chartier spielt. Komplett zufällig hatte ich die englische Übersetzung des Buchs dabei und konnte mich daher in den kurzen Erholungsphasen zwischen Konzerten und Tanzen informieren, was die besagten zentralfranzösischen master pipers (== bagpipe players) um 1840 so alles erlebten und erlitten. Ich will hier nichts vom Ende verraten, aber: ich hätte damals ein anderes, das Leben weniger gefährdendes Instrument gespielt.

Anders als letztes Jahr, als es vier Tage lang brütend heiß war, konnte man heuer froh sein, ein paar Sonnenstrahlen zu erhaschen. Mir konnte das kühle, regnerische Wetter allerdings wenig anhaben, weil ich mit Regenschirm und langen Strümpfen bewaffnet angereist war. Meine persönlichen Höhepunkte im Programm wurden auch nicht vom Wetter beeinträchtigt: der Auftritt der Société Fraternelle des Cornemuses de Centre und ein Konzert von Zephyrus in der kleinen Kirche von St. Chartier.

brolley

So. Als wir uns bei den vielen Ständen der Instrumentenbauenden mit neuen Instrumenten versorgten, setzte einer von ihnen Martin den Floh ins Ohr, daß es in einem Museum in Montluçon Dudelsäcke von anno dazumal zu sehen gäbe, und natürlich mußten wir dorthin radeln und das überprüfen. Dabei fuhren wir zufällig teilweise entlang des GR de Pays “Sur les Pas des Maitres sonneurs” (der von drei der Hauptdarsteller in Sands Buch benutzt wird). Im Château des Ducs de Bourbon fanden wir auch tatsächlich das Musée des musiques populaires, das in einer liebevoll gestalteten Ausstellung Popmusik aus den letzten 150 Jahren dokumentiert – inklusive alter Instrumente und dutzender Urkunden von musikalischen concours.

In Montluçon bestiegen wir einem Zug nach Orléans, von wo wir am nächsten Tag auf einem angenehmen Radweg unsere Fahrt durchs Val de Loire begannen. Berühmt sind die vielen Schlösser, die an der Loire und im nahen Umlang stehen, wir haben uns nur ein paar davon angesehen, sonst wären wir nie weitergekommen: z.B. Chaumont, Chambord, Chenonceau. Wie an jedem größeren Fluß gibt es auch an der Loire bekannte Städte wie Tours oder Angers.

chenonceau

An manchen Abenden gelang es mir, vor dem Ins-Koma-Fallen noch ein paar Seiten aus Geschichte meines Lebens. Aus ihrem autobiographischen Werk von George Sand und Renate Wiggershaus zu lesen – man will schließlich wissen, wer George Sand war. Auszüge aus ihrem Werk Ein Winter auf Mallorca (humorvolle Dokumentation einer Reise mit ihren Kindern und Chopin) trösteten mich über die teilweise mühsamen Umstände des Campinglebens hinweg – immerhin mußte ich _nicht_ auf einem Schweinefrachtschiff mit Priorität auf das Wohlsein der Schweine reisen.

Nach fünf Tagen und etwa 500km erreichten wir schließlich St. Nazaire, überquerten die längste Brückenkonstruktion Frankreichs (sie ist hoch, steil und extrem stark befahren – ich werde sie in diesem Leben nicht wieder mit dem Fahrrad überqueren) und hatten damit ein Zwischenziel erreicht. In St. Nazaire besichtigten wir die Bunkerkonstruktionen im Hafen, die aus dem 2. Weltkrieg stammen, dann ging es rasch per Zug weiter nach Auray, Richtung westliches Ende des Landes und Teil der région Bretagne.

Wir kampierten auf einem netten Platz unter Kiefern auf unserem Weg zu den Steinformationen von Carnac, welche wir am nächsten Tag besichtigten. Leider strahlt diese Stätte nicht sonderlich viel Würde aus, weil alle Formationen mit Maschendrahtzaun umzingelt sind, und dutzende Touristen wie wir davorstehen. Ich war etwas entzaubert, aber – so ist das Leben.

Und dann gab es endlich den ersten längeren Blick aufs Meer. Gerade rechtzeitig zu meinem Geburtstag erreichten wir das département Finistère in Form des Ortes Clohars-Carnoët (mit einem netten Strand namens Le Pouldu), wo wir zwei Tage verweilten, Muscheln aßen und Cidré tranken.

Dann ging es weiter entlang der Küste, zunächst unter Regenschauern durch Concarneau bis nach Quimper, wo wir gerade noch die letzten zwei Tage des Festival de Cornouaille miterleben konnten, welches sich der Erhaltung der bretonischen Kultur in Form von Musik, Tanz, Tracht verschrieben hat. Kirchtag würden es wohl die Österreicher nennen. Natürlich versucht man, den Verkauf von Andenken durch überbordende Verwendung von keltischen Symbolen anzukurbeln. Überhaupt fragt man sich häufig, ob man nicht aus Versehen La Manche durchquert hat und in Großbritannien gelandet ist, aber die Wurzeln dafür finden sich natürlich in der Geschichte der Region. Immerhin: überall zweisprachige Ortstafeln.

coast

Wir radelten weiter nach Westen und erreichten die Pointe du Raz, ein Kap mit Leuchttürmen, heftigen Strömungen (daher auch der Name raz – engl. race) und einer Muttergottes-Statue. Das Wetter: wolkenverhangen und wie geschaffen für die dankbare Feststellung, sich jetzt gerade nicht auf See durch die Meerenge von Kap und vorgelagerter Insel kämpfen zu müssen.

Zurück nach Osten, durch Orte wie Beuzec-Cap-Sizun, Douarnenez und Plomodiern auf die Halbinsel Crozon, die Teil des Naturparks Armorique ist und wie ein Kreuz geformt ist. Bleibender Eindruck: viel (Gegen-)Wind, dutzende Windräder. Nach einer Nacht in Camaret-sur-Mer fuhren wir über den nördlichen Arm des Kreuzes, die Île-Longue, die seit Jahrhunderten eine wichtige Rolle zur Verteidigung des Hafens Brest spielt. 1594 belagerten hier während der Hugenottenkriege spanische Truppen Brest, an sie erinnert noch die Pointe des Espagnols. Heute parken ganz in der Nähe französische Atom-U-Boote (wenn man google maps nach “Rostellec” befragt, sieht man derzeit eins davon auf den Satellitenbildern).

Nach ein paar stillen Tagen in Le Fret nahmen wir eine Fähre nach Brest, von wo aus wir den westlichsten Punkt Frankreichs am Festland ansteuerten, das Kap Pointe de Corsen, welches an der Grenze zwischen Atlantik und Ärmelkanal liegt.

trezien

Nach einer letzten Nacht im Zelt an der Atlantikküste fuhren wir zurück nach Brest und machten uns im TGV auf den Heimweg über Rennes und Paris.

Und wer bis hierher gelesen hat, kann sich noch mehr Fotos ansehen.

2 thoughts on “Zurück vom Ende der Welt”

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.