Verfasser: Anton Kerschbaumer über...

Der Mythos von Prometheus, seine vielfältigen Deutungsmöglichkeiten und seine Bedeutung für die Gegenwart insbesondere für die Technik





(Quelle: http://mediendenken.editthispage.com/discuss/msgReader$480?mode=day 10.12.02)





INHALTSVERZEICHNIS

  1. Einleitung
  2. Begriffsdefinition
  3. Mythos von Prometheus
    1. Der Prometheus Mythos als Kurzfassung aus dem Lexikon
    2. Die erste Version des Prometheusmythos bei Hesiod - eine eindeutig dekadente Kulturvorstellung
    3. Die zweite Version des Prometheusmythos - Prometheus Desmotes
    4. Prometheus bei Goethe
  4. Der Mythos von Prometheus und seine Bedeutung für die Gegenwart insbesondere für die Technik
  5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In dieser Arbeit geht es mir darum, den über 2700 Jahre alten Mythos von Prometheus in drei verschiedenen Versionen, der von Hesiod (700 v. Chr.), der heute meist zitierten von Fassung Prometheus Demotes (wahrscheinlich 430 v. Chr) nicht gesicherter Herkunft und der Fassung der Ode von Goethe (18. Jahrhundert) zu analysieren. Dabei hat sich die Vieldeutigkeit der Geschichte mit dem Kern des Feuerraubs gezeigt, die zu gegensätzlichen Auslegungen führen kann. Detailliert darauf einzugehen ist ein Hauptteil dieser Arbeit.

Weiters soll ausgehend vom Prometheus Mythos in seiner heute meist zitierten technisch-optimistischen Auslegung ein Betrachtung der Auswirkung die von diesem Mythos auf die Gegenwart erfolgen. Hierbei liegt das Hauptaugenmerk in einem kritischen Überdenken der heute meist gänzlich positiv interpretierten Fortschritts. Diese Fortschrittgläubigkeit wird auch in der Gegenwart oft in Verbindung mit Prometheus gebracht.


2. Begriffsdefinition

Beginnen möchte ich meine Arbeit mit kurzen Begriffsdefinitionen der entscheidenden Wörter des Titels.

Der Mythos ist eine Weltauslegung und Lebensdeutung in erzählerischer Berichtsform, gesättigt von Symbolen, Visionen und fabulierenden Darstellungen. Er entbehrt der begrifflichen Reflexionsform und der theoretischen Systematik, steht der animistischen Kulturstufe (Allbeseelung) noch nahe. Der Mythos wird aber nicht nur als vorrationale Kulturstufe verstanden, sondern auch als eigentümliches Erkenntnismittel weissagender Einblicke in das Wesen von Welt und Mensch, also als eine überrationale Ausdrucksform, die in Bildern und Metaphern erzählt, was "über den Begriff geht". Das Unsagbare wird angedeutet und zu umschreiben versucht. (vgl. Bertelsmann Universallexikon auf CD-Rom 2001)

Ein Mythos erklärt Irrationales mit Hilfe von Geschichten die allgemein akzeptiert und zwischen den Menschen weitererzählt werden und so am Leben erhalten bleiben.

Mythen sind Erfindungen, wenngleich sie wahre Geschichten erzählen wollen. Sie sind Erfindungen im dreifachen Sinn: Es sind erfundene Geschichten, es sind Geschichten von der Erfindung, und es sind Geschichten zu deren Erfindungskunst es gehört, dass sie nicht als erfunden, sondern als Überlieferung aus einer Zeit die der Erfindung vorausgeht vernommen werden. Zum Mythos gehört der Ursprung als die Erfindung des unerfundenen Wissens. (vgl. PANKOW/PETERS (1999), S. 28)

Technik [griechisch, "Kunst", "Kunstwerk"] ist die Erweiterung des Aktionsradius des Menschen durch planmäßige Ausnutzung der durch die Naturgesetze gegebenen Möglichkeiten. (vgl. Bertelsmann Universallexikon auf CD-Rom 2001) Der allgemeinste Ansatz einer Definition für Technik besagt, dass all das Technik ist was die Natur nicht hervorbringt, nämlich das schöpferische Hervorbringen von Dingen durch den Menschen. (vgl. FISCHER (1996) S. 9)

Was ist eigentlich der Logos im Unterschied zum Mythos?

Der Logos ist ebenfalls griechischen Ursprungs. Der Begriff wurde von Heraklit eingeführt und bezeichnet eine Rede bzw. Sprache, die den Anspruch auf Nachprüfbarkeit einlöst (Dialektik), so u. a. bei Platon, Aristoteles, der unter Logos auch die Definition des Wesens einer Sache versteht. Der Logos bezeichnet darüber hinaus das ordnende Prinzip des Kosmos bzw. die Weltvernunft. Der Übergang vom Mythos zum Logos markiert die Entstehung der Philosophie. Der Logos ist die geordnete bzw. begründete Redeweise im Gegensatz zum Mythos, der eine Erzählung darstellt. (vgl. www.hausarbeiten.de/rd/faecher/hausarbeit/phi/12830.html 10.12.02)


3. Mythos von Prometheus

Ein immer aktuell bleibender Mythos ist der Mythos von Prometheus. Dieser vieldeutige Mythos bildet den Kern dieser Arbeit.

Die Geschichte vom Titanen Prometheus wurde unter unterschiedlichen Gesichtspunkten von verschiedenen Philosophen, Dichtern, Historikern, etc. geschildert. Aus den unterschiedlichen Geschichten lassen sich sowohl eine dekadente wie auch eine aszendente Entwicklungsvorstellung ableiten. Man sieht einmal mehr wie unterschiedlich die im Kern unveränderte Geschichte vom den Menschen das Feuer bringenden Prometheus ausgelegt werden kann.

Die zentrale Frage die ich aus den verschiedenen Interpretationen herauslese ist:

Sind wir durch Prometheus aus dem goldenen Zeitalter vertrieben worden oder hat erst Prometheus das Betreten des goldenen Zeitalters ermöglicht?

Diese Frage möchte ich nun detaillierter in der Schilderung der Unterschiede in den bedeutendsten Aufzeichnungen dieses Mythos nachgehen.


3.1. Der Prometheus Mythos als Kurzfassung aus dem Lexikon

Prometheus ist in der griechischen Mythologie Sohn des Titanen Iapetos und der Klymene, Bruder des Atlas und des Epimetheus.

Prometheus ist im Kampf der Titanen gegen die "olympischen" Götter um Zeus rechtzeitig auf die Seite der neuen, überlegenen Götter gewechselt und so der Vernichtung entgangen. Er knetete aus Lehm und Wasser die ersten Menschen. Zeus wollte die Menschheit vernichten. Doch Prometheus stellte sich schützend vor die Bedrohten und unterstützt sie indem er ihnen das den Göttern vorbehaltene Feuer bringt und sie die Künste zur Beherrschung der Natur lehrt.

Aus Rache schuf Zeus die Pandora (griechisch, "Allgeberin", nach Hesiod die erste Frau). Hephaistos erschuf sie im Auftrag des Zeus und stattete sie mit den Gaben aller Götter aus. Einem Gefäß ("Büchse der Pandora"), das Pandora öffnete, entwichen alle Übel und überkamen die Menschen. Im Gefäß blieb die Hoffnung zurück. Die Pandora brachte den Menschen das Unheil.

Zeus nimmt auch grausame Rache an Prometheus. Dieser wurde an einen Felsen im Kaukasus geschmiedet. Täglich wird dem Wehrlosen von einem Adler die ständig nachwachsende Leber aus dem Leib gerissen. Erst dreißigtausend Jahre später sollte er vom Halbgott und Held Herakles, dem Sohn des Zeus von seinen Qualen erlöst werden. (vgl. Bertelsmann Lexikon auf CD-ROM 2001)


3.2. Die erste Version des Prometheusmythos bei Hesiod - eine eindeutig dekadente Kulturvorstellung

Hesiods (griechischer Epiker) Theogonie (um 700 v. Chr.) ist das erste uns überlieferte Werk, das auch von Prometheus handelt. Dieses Werk beschreibt die Entwicklung der Welt aus dem Chaos, das Entstehen der Götter sowie des allmächtigen Herrschers Zeus.

Zeus wird hier als gerecht beschrieben, Prometheus als listig und betrügerisch. Schon in Mekone bei einem Mahl von Göttern und Menschen hat er Zeus um den besseren Teil betrogen. Dabei hat er die Knochen mit Fett, das Fleisch jedoch mit dem Magen überzogen und so Zeus zu den Knochen greifen lassen. In der Folge wird den Menschen das Feuer bei den gemeinsamen Mahlzeiten mit den Göttern von Zeus entzogen. Auch Prometheus hat keinen Zugang mehr zum Feuer. Doch gelingt es ihm in einem Narthexrohr das Feuer dem Zeus zu rauben und den Menschen zu bringen. Dieser hat keine Möglichkeit mehr den Menschen dieses Feuer zu nehmen und erschuf daher als Rache das Unheil - die Pandora. (vgl. PANKOW/PETERS (1999) S. 44f.)

Hesiod resümiert in dem Sinne, dass keiner den allwissenden Zeus täuschen kann, der immer das letzte Wort hat und jeden Betrug letztendlich durchschaut. Gott Zeus wird als "allwissend", Prometheus als "vielwissend" dargestellt. Wie Prometheus in der Theogonie zu ewiger Strafe verdammt ist (Adler der die nachwachsende Leber frisst), so sind die Menschen zu ewigem Leid verdammt eben dadurch, dass sie nun von den Göttern getrennt sind, verdammt. Vorher hatten die Menschen alles ohne Arbeit, nun leben sie voll Sorgen um das tägliche Überleben. (vgl. PANKOW/PETERS (1999) S.46f.)

Kein Zweifel besteht darin, dass es Hesiods eigenste Idee war, mit dem Feuerraub die Armseligkeit der menschlichen Existenz zu erklären. Es geht ganz eindeutig eine Deszendenz von einer glücklichen Urzeit zu einer unglücklichen Gegenwart hervor. Das goldene Zeitalter entspricht der Zeit vor der Öffnung des Fasses durch Pandora, das Eiserne Zeitalter der Zeit danach. Vor Pandora lebten die Menschen ohne Unheil, Sorgen und Krankheiten. Prometheus hat den Menschen das paradiesische, gottgleiche Leben genommen. Sein Feuer brauchten die Menschen nicht, sie hatten ja alles. Die Notwendigkeit der Technik ist den Menschen als Strafe für den Feuerraub auferlegt. (vgl. PANKOW/PETERS (1999) S. 48)

Das goldene Zeitalter bei Prometheus ist auch mit dem Paradies vergleichbar zu sehen, wie es im Alten Testament erwähnt ist. Im Paradies lebten die Menschen im vollkommenen Glück, sie hatten Umgang mit Gott, die Erde bot ihnen alles, ihre Bebauung machte Freude (Gen. 2.15). Nach dem Sündenfall jedoch wird die Erde karg, der Ackerbau mühevoll und zur auferlegten Strafe (Gen. 3.17), es bilden sich aufgrund des Mangels die Techniken: So wird Kain (ältester Sohn Adams und Evas, erschlug den Bruder Abel, wurde dafür von Gott gezeichnet (Kainszeichen) und zum unsteten Leben in der Wüste verurteilt) der erste Ackerbauer (Gen. 4.2), von den Nachkommen Kains entwickelt Iabel das nomadische Hirtenleben, Iubal das Zither- und Harfenspiel (also die Musik), Tubalkain das Schmiedehandwerk. Die Technik ist Zeichen des Abstiegs, zwangsläufige Folge der Vertreibung aus dem Paradies. (vgl. PANKOW/PETERS (1999) S. 49)

In den Mythen Hesiods spiegeln sich neben der Feindseligkeit gegen die Natur und dem Pessimismus der Zeit gegenüber in der er geboren ist auch eine Abneigung gegen das weibliche Geschlecht wider. Die Erschaffung des Weibes als Folge des Feuerraubs lässt bei ihm ja das Unheil beginnen.


3.3. Die zweite Version des Prometheusmythos - Prometheus Desmotes

Die Tragödie des Prometheus Desmotes (Der gefesselte Prometheus) aus dem 5. Jahrhundert vor Christus hat wohl die berühmteste und wirkungsträchtigste Behandlung erfahren.

Dieses Drama beginnt mit der Anschmiedung des Prometheus an einen Felsen und endet mit dessen Versenkung. Prometheus hat einst Zeus als Ratgeber geholfen, die Titanen zu besiegen. Jedoch hat er die Vernichtung des Menschengeschlechts durch Zeus verhindert indem er den Menschen das Feuer gab. Bei der Bestrafung hat Prometheus Zeus in der Hand: Er kennt als einziger das Orakel, nach dem Zeus aus der Ehe mit Thetis ein Sohn erwachsen werde, der stärker ist als er selbst. Dieses Geheimnis lässt sich Prometheus nicht entlocken und daher bleibt er der - moralische - Sieger in dem Machtkampf. Die Unterschiede zur Erzählung von Hesiod sind fundamental und werden im folgenden näher betrachtet.

Diesmal hat Prometheus bis zum Schluss ein Machtmittel gegen Zeus in der Hand. Er weiß, was Zeus nicht weiß. Zeus ist nicht allwissend. Prometheus bekommt als Mutter nicht mehr die Klymene sonder die Themis (das Recht) zugesprochen. So wird damit von vornherein impliziert, dass Prometheus ein Recht für seine Taten hatte. Hesiod stellte das Handeln des Prometheus im Gegensatz dazu als Betrug dar. Als Titan verhilft Prometheus dem Zeus zum Sieg gegen seine eigenen Brüder. Zeus soll demgegenüber als undankbar erscheinen, wenn er Prometheus später so hart bestraft. Ist die Strafe für Prometheus bei Hesiod von ewiger Dauer, so wird beim Proemtheus Desmotes die Befreiung bereits bei der Fesselung angedeutet. (vgl. PANKOW/PETERS (1999) S. 51)

Prometheus hat sich bewusst und freiwillig dafür eingesetzt die Menschen vor der Vernichtung zu retten, indem er ihnen das Feuer übergab. Der Plan des Zeus, der die Vernichtung der Menschen vorsah, findet bei Hesiod keine Erwähnung. Alles ist in der Tragödie getan, um Prometheus in gutem Licht erstrahlen zu lassen. Zeus ist nun ein Tyrann mit allen negativen Eigenschaften der Gewalt. Aus dem Betrüger Prometheus wird der Held, der die Menschen rettet und dafür die furchtbarste Bestrafung in Kauf nimmt.

Und den Menschen wird neben dem Feuer auch die ‚blinde Hoffnung' eingepflanzt. Vorher sahen die Menschen ihren Tod voraus und waren dadurch gelähmt, jetzt haben sie Hoffnung für die Zukunft und gestalten ihr Leben. Im Gegensatz dazu war die Vorstellung ja bei Hesiod,dass die Menschen im Goldenen Zeitalter wie vom Schlaf überwältigt starben und erst durch Prometheus Angst um ihre Existenz bekamen. Und bei aller Not blieb selbst die Hoffnung ihnen verborgen.

Ein anderer Vergleich: "Aber hört, welch Leiden einst / die Menschen beugte, Träumer sonst und stumpfen Sinns, / die geistesmächtig und bewusst ich werden ließ; / und nicht zum Vorwurf für die Menschen sag' ich es, / nur um die Wohltat meiner Gabe darzutun. / Denn sonst mit offnen Augen sehend sah'n sie nicht, / es hörte nichts ihr Hören; ähnlich eines Traums / Gestalten mischten und verwirrten fort und fort / sie alles blindlings, wussten nichts vom Ziegelbau / der Häuser, sonnwärts offen, nichts von Zimm'rers Kunst; / erdeingegraben wohnten sie, den wimmelnden / Ameisen gleich, in Höhlenwinkeln sonnenlos" (vgl. Vers 442f. DROYSEN (1939)). Hier sieht man wieder den Gegensatz zum Goldenen Zeitalter bei Hesiod. Der Ausgangspunkt ist ein ganz anderer beim Prometheus Desmotes.

Sehr umstritten ist die Hypothese, dass Prometheus Desmotes von Aischylos stammt. Diese Lehre vom tierhaften Urzustand des Menschen und der Erlösung davon passt ganz und gar nicht zu seiner in den unbestrittenen Stücken vertretenen Weltanschauung. Es gibt auch Unterschiede im sprachlichen, metrischen und dramatischen Aufbau, weshalb die meisten Wissenschaftler eine andere Herkunft vermuten. Aischylos starb 456 v. Chr., das Werk soll um 430 v. Chr. entstanden sein. Am ehesten schätzt man, dass der athenische Naturphilosoph Archelaos (480 - 410 v. Chr.) der Autor ist.

Das Werk passt besser in eine etwas spätere Zeit auch unter dem historischen Hintergrund des ungeahnten Aufschwungs Athens nach den Perserkriegen. Vor dem Ausbruch des Peloponnesischen Krieges (431 v. Chr.) stand Athen auf dem Höhepunkt seiner Macht. Zu dieser Zeit passt der Optimismus der Menschen, die fest daran glauben durch persönliche Leistung den Zustand der Welt verbessern zu können. So ist es durchaus nachzuvollziehen, dass man zu dieser Zeit zur Erkenntnis gelangte, dass die Technik nicht nur das Leben der Menschen verbessert, es überhaupt erst ermöglicht, indem der Mensch über seine animalische Natur erhoben wird. (vgl. PANKOW/PETERS (1999) S. 55)

Egal ob Verfall oder Fortschritt, der Mythos ist die Deutung der Gegenwart durch die Vergangenheit, er spiegelt das wider, was die Menschen bewegte, die ihn schufen. (vgl. PANKOW/PETERS (1999) S. 61)


3.4. Prometheus bei Goethe

Ich möchte hierbei die Ode Prometheus von Goethe interpretieren, die 1785 publiziert wurde und nicht das Dramenfragment aus dem Jahre 1773, das weitaus weniger Resonanz hervorrief, wohl auch, weil es erst 1830 erschien.

Diese Hymne lautet:

Prometheus
Bedecke deinen Himmel, Zeus,
Mit Wolkendunst,
Und übe, dem Knaben gleich,
Der Disteln köpft,
An Eichen dich und Bergeshöhn;
Müßt mir meine Erde
Doch lassen stehn,
Und meine Hütte, die du nicht gebaut,
Und meinen Herd,
Um dessen Glut
Du mich beneidest.

Ich kenne nichts ärmers
Unter der Sonn' als euch, Götter!
Ihr nähret kümmerlich
Von Opfersteuern
Und Gebetshauch
Eure Majestät,
Und darbtet, wären
Nicht Kinder und Bettler
Hoffnungsvolle Toren.

Da ich ein Kind war,
Nicht wusste wo aus noch ein,
Kehrt' ich mein verirrtes Auge
Zur Sonne, als wenn drüber wär'
Ein Ohr zu hören meine Klage;
Ein Herz wie mein's,
Sich des Bedrängten zu erbarmen.

Wer half mir
Wider der Titanen Übermut?
Wer rettete vom Tode mich
Von Sklaverei?
Hast du nicht alles selbst vollendet,
Heilig glühend Herz?
Und glühtest jung und gut,
Betrogen, Rettungsdank
Dem Schlafenden dadroben?

Ich dich ehren? Wofür?
Hast du die Schmerzen gelindert
Je des Beladenen?
Hast du die Tränen gestillet

Je des Geängsteten?
Hat nicht mich zum Manne geschmiedet
Die allmächtige Zeit
Und das ewige Schicksal,
Meine Herrn und deine?

Wähntest du etwa,
Ich sollte das Leben hassen,
In Wüsten fliehen,
Weil nicht alle
Blütenträume reiften?

Hier sitz' ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Zu leiden, zu weinen,
Zu genießen und zu freuen sich,
Und dein nicht zu achten,
Wie ich!
(Johann Wolfgang Goethe)


Charakteristisch für die gesamte Ode ist die gezielte Verwendung der Possessiv- und Personalpronomen "deinen, meinen, meine, mir, mich, ich, du" durch die Prometheus das Seine von dem des Zeus genau unterscheidet.

Prometheus liegt mit Gott im Streit und kehrt das Verhältnis um, nicht die Menschen sind von den Göttern abhängig sondern die Götter von den Menschen. Zu dieser Erkenntnis gelangt er in "Ihr nähret kümmerlich von Opfersteuern und Gebetshauch ...". Nur Unmündige "Kinder und Bettler" wenden sich den Göttern zu. Die Macht des Gottes ist derart gering, nicht einmal das Gewitter ist er in der Lage zu inszenieren, auf Erden gibt es nichts als natürliche Gewitter.
(vgl. http://www.hausarbeiten.de/vd/faecher/hausarbeiten/del/5642.html 10.12.02)

Der prometheische Raub vollzieht sich bei Goethe in der interpretierenden Einsicht, dass Zeus, eine metaphorische Hypostase (gedankliche Verdinglichung von Vorstellungen) ist, die so furchterregende Naturphänomene wie Blitz und Donner im kindlichen Bewusstsein festschrieb. Es ist in diesem Sinne kein Raub des Prometheus, sondern die Wiedererlangung der sprachlich-poetischen Kreativität des Menschen. (vgl. WELLBERY D. E. in: PANKOW (1999), S. 112)

In den Strophen drei bis sieben (in Präteritum geschrieben) sieht man die vergeudete Zeit die Prometheus auf der Suche nach Beistand bei den Göttern verbrachte. Zeus interessierte sich aber nicht für ihn vielmehr schlief er während dieser Zeit. Prometheus äußert sich in "Ich dich ehren? Wofür? Hast du die Schmerzen gelindert je des Beladenen? Hast du die Tränen gestillet je des Geängsteten?" sehr distanziert gegenüber Zeus und gründet darauf in der nächsten Strophe Nummer acht seine Autonomie.

Die achte Strophe ist in Präsens geschrieben und schildert die Gegenwart. Prometheus ist von den Göttern befreit und stolz und glücklich, sein Schicksal selbst in die Hand nehmen zu können und kann nun unabhängig von den Göttern selbst eigene Kreativität entwickeln. Bei Prometheus von Goethe geht es nicht darum nur mit Ratio allein sondern auch mit allen Leidenschaften und Gefühlen, so wie es für die Sturm und Drang Zeit typisch war, zu leben. Eine besondere Rolle bei dieser Kreativität nimmt die Sprache ein, die eine Selbst-Formung des Menschen ermöglicht. Der Name Prometheus bedeutet im etymologischen Sinn "der Voraussehende". Durch die Sprachhandlung gelangt die Menschheit zur Autonomie und kann sich eine von den Göttern unabhängige Welt schaffen. (vgl. WELLBERY in: PANKOW (1999) S. 123)

Besonders hervorzuheben ist nochmals der paradoxe Charakter der Hymne von Goethe. Als erstes ist Prometheus der Schöpfer des Zeus mittels der menschlichen Fähigkeit der linguistisch-metaphorischen Projektion. Zweitens zeigt Prometheus die menschliche Fähigkeit zur hermeneutischen Einsicht. In einem temporalen, historischen Verhältnis kommt der Mensch sich praktisch selbst auf die Schliche. Wir haben es paradoxerweise mit einer mythologischen Figur zu tun die ihren eigenen Mythos interpretiert. (vgl. WELLERBY D. E. in: PANKOW (1999), S. 110 ff.)


4. Der Mythos von Prometheus und seine Bedeutung für die Gegenwart insbesondere für die Technik

In der Gegenwart, die besonders von einer rasanten technischen Entwicklung gezeichnet ist, wird vor allem der aszendente Prometheus Mythos eingesetzt, um die positiven Auswirkungen der Technik zu zeigen.

In dieser Version des Mythos von Prometheus sind die Menschen von der Nichtswürdigkeit des Daseins zur Daseinswürdigkeit gelangt. Der Mythos von Prometheus macht uns aber auch mit der schmerzlichen Tatsache vertraut, dass wir für ein Leben draußen schlecht ausgerüstet sind. Wir sind von Natur aus unvollkommen. Und nur durch Arbeit gelingt das Überleben. Indem wir uns selbst erschaffen und verwirklichen.

Mit dem Mythos des Prometheus ist das Selbstverständnis der Neuzeit verbunden: Menschen schaffen sich ihre Welt aus sich selbst heraus, nachdem Prometheus ihnen Kultur gegeben hat, sie mit der Beherrschung des Feuers vertraut gemacht hat. Damit geraten die Menschen immer mehr aus dem Bannkreis der Natur. Durch die Errungenschaften von Wissenschaft und Technik soll gut gemacht werden, was uns an Fähigkeiten zu einem natürlichen Leben fehlt. (vgl. http://home.t-online.de/home/k.g.dilk/glha.htm 2002-11-22)

Prometheus steht in diesem Sinne für alle Technik, alles von Menschen geschaffene, das uns mehr und besser die Natur beherrschen lässt. Für mich stellt sich die Frage, ob sich bei all diesem Optimismus der Technik gegenüber nicht doch ein gewisser Einhalt vonnöten wäre. Der Drang immer nach Neuem und Besserem zu streben, stets die innovativsten und modernsten Geräte, von Computer über Automobil, PDA, Handy etc. zu besitzen und stets up-to-date zu sein ist auch mit einem enormen Stress verbunden. Die Gemächlichkeit und Muse, wie sie die griechischen Götter repräsentierten, geht dabei häufig verloren. Dabei ist mir auch eine enorme Unfreiheit erkennbar, die in der immerwährenden nicht hinterfragten Fortschrittsorientierung liegt. Desto mehr Technik nicht der Diener des Menschen, sondern der Mensch Diener der Technik wird, desto wichtiger wird eine kritische Reflexion unseres Handelns.

In den 90er Jahren heißt ein Verkehrsleitkonzept Prometheus. Der Mythos steht für das systemtheoretische Problem, eine funktional differenzierte Gesellschaft zu koppeln. Er löst ein Steuerungsproblem. Nicht das Feuer im Motor des Autos ist heute das Prometheische der Technologie des Autos, sondern der Datenfluss in den Computernetzen. Das Prometheische ist die vorausschauende technische Reaktion, das Programmieren der Selbstregulation. (vgl. http://mediendenken.editthispage.com/discuss/msgReader$480?mode=day 10.12.02)

Heute wird unser Denken viel mehr ausgelagert aus unseren Gehirnen und findet mit Unterstützung hochleistungsfähiger Computer in Informationsnetzen statt. Der Mensch genügt sich nicht mehr in seiner derzeitigen Form, er muss verbessert werden. Die Produkte der Technik sind so bewundernswert und fantastisch, dass dabei der Mensch, als natürliches Wesen nicht mitkommt. Auch der Mensch muss nach dem fortschlichen Prometheus Mythos einem Re-Design unterworfen werden, um den neuen Bedingungen zu genügen. In einem Roman "The prometheus design" geht es um die Transplantation des intergalaktischen Bewusstseins auf den Menschen. Der Mensch wird mit der Überwindung der Natur zur "transklassischen Maschine", zum "programmierten Informationsmuster". (vgl. http://mediendenken.editthispage.com/discuss/msgReader$480?mode=day 10.12.02)

Human Engineering im Dienste Prometheus? "Die Dinge sind frei, nicht mehr der Mensch: Wir könnten ja z. B. theoretisch viel höher und schneller fliegen, aber praktisch steht dem ein lebendiger Leib entgegen. Er ist den Dingen nicht mehr gewachsen. Die Dinge werden zum Blickwinkel und zum Maßstab des Menschen und er verachtet sich so, wie die Dinge es täten, wenn sie fühlen könnten. Der verwandelte Prometheus verzichtet auf sein Selbst als Maßstab und wandelt sich nun zuliebe der Geräte. Der Human Engineer ist hybride Demut (hybrid: Kreuzung zwischen Fabrikant und Fabrikat) und seine angemaßte Selbsterniedrigung. Er schränkt die eigene Größe auf absolute Weise ein. Die Verzichtleistung ist Selbsterniedrigung. Während in der Religion der Tod Sache Gottes ist und für den Menschen das Selbstmordverbot gilt, ist die Anmaßung nun die Vernichtung des Menschen durch den Menschen." ( http://mediendenken.editthispage.com/discuss/msgReader$624?mode=day 10.12.02)

Ein großes Problem unseres Körpers ist ja die Unfähigkeit zur industriellen Reinkarnation. Produkte sind unsterblich, können in einer verbesserten Idee wiederverwendet werden. Durch Serienproduktion ist die Welt platonoider geworden. Wird dies auch mit dem Menschen geschehen? Werden auch die Menschen durch Ersatzteile und Zusatzadaptionen aus dem Genlabor oder der Computerneurologischen Technik leistungsfähiger gemacht? Wird der Mensch zum Schöpfer eines neuen, verbesserten Menschen? Alles Fragen, die uns wahrscheinlich auch noch in der Zukunft intensiv beschäftigen werden. Doch stellt sich dann auch die Frage, ob der Mensch nicht daran geht, sich selbst zu zerfleischen für seine "Geborenheit" und nicht mehr wie Prometheus von Zeus zerfleischt wird. Die Menschen erkennen den "myth of progress" oft nicht. Seit sie in jedem Schritt den Fortschritt sehen, "... sind sie beruhigt, weil es vorwärtsgeht und stolz auf die Novität." (vgl. ANDERS, G. (1985), S. 49 ff.)


5. Literaturverzeichnis

Bücher und Lexika:

ANDERS, G. (1985): Die Antiquiertheit des Menschen Bd.I. München : Beck, S.21-59

BERTELSMANN UNIVERSALLEXIKON auf CD-ROM (2001)

FISCHER, P. (1996): Technikphilosophie, Reclam Verlag, Leipzig 1996

DROYSEN, J. G. (1939): Aischylos. Die Tragödien und Fragmente, Stuttgart

PANKOW, E./PETERS, G. (1999): Prometheus - Mythos der Kultur, Wilhelm Fink Verlag, München


Internetquellen:

http://home.t-online.de/home/k.g.dilk/glha.htm 2002-11-18 http://www.hausarbeiten.de/rd/faecher/hausarbeit/phi/12830.html 10.12.02 http://www.hausarbeiten.de/vd/faecher/hausarbeiten/del/5642.html 10.12.02 http://mediendenken.editthispage.com/discuss/msgReader$480?mode=day 10.12.02 http://mediendenken.editthispage.com/discuss/msgReader$624?mode=day 10.12.02